Amber Jam wurde 1990 in Kingston, Jamaica geboren und wuchs zu den Songs von Bob Marley auf. 1997 zog sie mit ihrem Vater nach Portland, Oregon, wo sie das das Portland State College of Art and Design besuchte und 2014 mit Auszeichnung abschloss.
Mit ihren Werken reflektiert sie die sich verändernden Phänomene ihrer Zeit: Schnelllebigkeit (BLURS), Oberflächlichkeit (TEARS) und Reizüberflutung (BOLD MOLD). Sie verbindet ihre Arbeit die Wirklichkeitserforschung in den Bereichen Sehen, Denken und Fühlen. Daneben experimentiert Amber Jam mit anderen Medien, wie Plastilin, Glitches und Vaporwave, ihre Maxime ist: “Be playful!”. Ihrer Ansicht zufolge befinden wir uns im Übergang vom Informations- zum Weisheitszeitalter.
Blurs
Between
Darkness and light
Color and night
Blindness and sight
Agony and delight
The lines
Blur
(written for Amber Jam on ello.co by @noiseislife)
Fotografien mit sehr hoher Auflösung fangen die Aufmerksamkeit ein, können im Übermaß aber auch ermüden. Die Schnelllebigkeit des Alltags spiegelt sich nicht zuletzt in der Bilderflut, die seit dem Pictorial Turn in den 80ger Jahren immer mehr zugenommen hat und nun in der Social Media Plattform Instagram zu gipfeln scheint. Um einer Fotografie eine überraschende und zugleich herausfordernde Wirkung zu verleihen, verwenden ihre user zuweilen den Blur-Effekt als Stilelement. Wie zuvor schon bei den Malern Gerhard Richter und Pablo Alonso bietet der BLUR eine Möglichkeit, Motive mit einem anderen Blick zu sehen.
Wird das Außen in die Unschärfe gezogen, kippt der Blick nach Innen.
Dem Betrachter gibt es die Möglichkeit, empathisch mit dem Auge des vom Künstler imaginierten, fiktiven Betrachters zu verschmelzen und dabei aufkommende, eigene Emotionen zu reflektieren. Dies ist eine meditative Tätigkeit, bei dem die eigene Seh-Fähigkeit mit der Sicht-Weise des Künstlers in Dialog tritt. Anders als Gerhard Richter möchte Amber Jam mit ihren BLURS nicht beunruhigen. Sie möchte eine angenehme und inspirierende Atmosphäre schaffen, in der das Erinnerungsvermögen und Kreativitätspotential des Betrachters gedeiht.
Amber Jam geht davon aus, dass man als Mensch immer unscharf sieht, ohne es wahrzunehmen und somit bezieht sie sich auf Sokrates Ausspruch: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Sie nimmt in ihren BLURS, in denen sie oft bis zu fünf Effekte verwendet und lange bearbeitet, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden ist, einen starken Bezug zur Malerei und stellt die Frage, wie avanciert ein Künstler heutzutage in den digitalen Technologien sein muss, damit seine Bilder der Bilderflut standhalten.
TEARS
BY TRANSMUTING
my tears into
ART
I let go
of all the things that
attach me to this life
ALL DESIRES
ALL LOSSES
EVERYTHInG
and
EVERYOnE
become a simple, beautiful shape
CRAFTED CAREFULLY
and with intent
TO BE A
SyMBOL of what might have been
could have been
BUT IS NOT
a small entitiy
on its own
but A GIANT in its sum.
I BECOME tears BECOME me.
Das Projekt TEARS handelt, anders als man vermuten würde, nicht nur von Traurigkeit, sondern unter anderem auch von Information (/Emotion) und deren Komprimierung. Der Künstler und Wissenschaftler E-Moto behauptet, Wasser durch quantenphysikalische Prozesse so beeinflusst zu haben, dass seine Emotionen deren Kristallstruktur im gefrorenen Zustand beeinflussen. So erstellte er Fotografien, auf denen ein Kristall mit der jeweiligen projizierten Emotion zu sehen sind. Kann Wasser Informationen speichern und Gehirnwellen verschiedener Seelenzustände ästhetisch sichtbar machen? Von Diamanten und Glas wissen wir, dass hier durch Lasertechnik Daten eingraviert werden können. Der alltägliche Einsatz solcher Datenträger scheint in greifbarer Nähe zu sein.
Ganz alltäglich dagegen ist die Träne. Sie enthält auf der materiellen Ebene zunächst schon Information über den Menschen, seine Gene, Hormone, Krankheiten und vieles mehr. Sie ist zudem ist ein deutlicher Hinweis der Überwältigung durch Emotionen eines Individuums. Deshalb wird der traurige Weinende häufig verachtet und als schwach bezeichnet. Ist es heutzutage in unserer Gesellschaft nicht ein “starkes Stück”, öffentlich zu weinen? Die Gründe für eine Träne dagegen können extrem komplex oder sehr einfach sein. Ihre Ursachen sind auch wissenschaftlich nicht vollständig geklärt.
Die Träne als Symbol ist besonders schlicht und daher bei Grafikern sehr beliebt. In bestimmtes Milieus steht ein Tränentatoo für einen begangenen Mord.
Das Tränensymbol ist nur ein Kreis, dem außerhalb ein Punkt hinzugefügt wurde. Wenn man weint, versucht man zu sich zu finden. Mathematisch gesehen ist sie eine geometrische Figur und enthält, wie auch der Kreis, unendlich viele Punkte. Wir sehen sie inzwischen in manchen Computerprogrammen beim Markieren von Texten oder, auf den Kopf gestellt, in GPS-Apps als Ortungsmittel. Die menschliche Träne scheint auf ihre Herkunft verweist ebenso und lenkt somit unsere Aufmerksamkeit auf den Ursprung derjenigen Sache, die gerade in uns thematisiert wird. Formal ist eine menschliche Träne nicht so reduziert, sondern weist viele Krümmungen auf. Amber Jam verwendet deshalb bei ihren TEARS keine Schablone, sondern zeichnet jede freihändig. Die dabei entstehenden individuellen formalen Schwankungen nimmt sie mit auf und verleiht so jeder Träne auch in der Wahl des Papiers etwas einzigartiges. Der Verzicht auf räumliche Effekte steht für die Coolness, die Amber Jam für notwendig hält, um die eigenen Emotionen besser zu managen. Anders als Man Rays gläserne Perlentränen möchte Amber Jam den Betrachter nicht in die Sphären des Traumes entheben, sondern zu sich selbst zurückführen.
Es ist der Wunsch von Amber Jam, dass die TEARS zu einem Massenprodukt werden, so dass jeder irgendwann eines dieser Bilder bei sich zu Hause haben kann, als Speicher oder Katalysator, um nie den Bezug zu emotionalen Körper zu verlieren.
Der von Amber Jam gegründete TEARS club ist eine soziale Skulptur, bei der Amber Jam gemeinsam mit ihren Freunden, Kollegen und Nachbarn Vortrags – Abende gestaltet. Jeder, der möchte, kann einen Vortrag zu einem Thema halten, das ihn persönlich beschäftigt und die Anwesenden sind dazu eingeladen, sich damit gestalterisch oder verbal auseinanderzusetzen.
BOLD MOLD
Flechten, Schimmel und dergleichen machen zuweilen uns Angst oder lösen Ekel aus, wenn sie im Zusammenhang mit dem menschlichen Körper stehen, auf Steinen stören sie weniger – Moose und Algen finden viele schön. Diese Urgewächse, evolutionsbiologisch älter sind als Bäume und Blumen haben für Amber Jam etwas Magisches an sich. Schimmelpilze können Infektionen auslösen und sollen auch mit Krebs in Zusammenhang stehen. Viele Menschen in Amber Jams Umgebung sind an verschiedenen Krankheiten gestorben; dies zu verarbeiten und ihren Frieden hiermit zu schließen, wünscht sie sich sehr.
Auf der anderen Seite sind manche Pilze lebensnotwendig, wie etwa im Darm, wo sie in einer ausgewogenen Umgebung unschädlich sind. Durch die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und Antibiotika wird diese Gleichgewicht zerstört. Das zarte und zerbrechliche Netz, das Pilze bilden, überträgt Informationen und funktioniert möglicherweise ähnlich den Neuronen im Gehirn. Hilft es deshalb zuweilen, eine Gürtelrose zu besprechen?
Amber Jam gefällt die Möglichkeit, Dinge, die nicht in Worte zu fassen sind, sichtbar zu machen. Die Stadt als Lebensraum verursacht häufig das Phänomen der Reizüberflutung und daraus resultierender nervlicher Überreizung. Um dem zu entfliehen, haben viele Erwachsene begonnen, Zentangle zu betreiben, andere verbringen ihren Feierabend wieder damit, vorgefertigte Bilder auszumalen. Amber Jam sucht in ihren künstlerischen Prozessen auch nach der Möglichkeit des Rückzugs – zeichnet ihren BOLD MOLD groß und bildfüllend, sie beginnt in der Mitte, reflexiv, mandalaartig, es soll „Zentangle auf Acid“ sein und in der Kopie auch ausgemalt werden dürfen.
Über ein Jahr zeichnete Amber Jam an ihrem BOLD MOLD – MARS edition, den Schimmel des Marsjahres 2016. Alles, was in diesem Jahr mit ihr und mit der Welt passierte, wurde sinnbildlich eingeflochten und verwebt. So war es der Versuch, Gutes, wie Schlechtes mit einander zu verweben, Verbindungen zu schaffen zwischen Helligkeit und Dunkelheit, zwischen Gegenwart und Erinnerung. Amber Jam hat hierbei nicht nur Muster verwendet, die als Code für Emotionen gelten können, sondern auch figürliche Elemente; hier und da entdecken wir wilde und zahme Tiere, Häuser, Zauberbäume und Ruinen. Über all dem fließt der Atem, der aus Drachenmündern strömt, um zu verbrennen oder zu heilen, das bleibt unklar. Sie stehen repräsentativ für die Natur, die sich, umzingelt von der Zivilisation, aufbäumt und – auch in den Menschen – für Konflikte sorgt.
Das Künstliche, so auch die Kunst, wird immer wieder hinterfragt, umgewälzt, durchdrungen.
